Gedichte eines Landstreichers
Vor einigen Jahren suchte ich nach einer Möglichkeit, ein paar Nachdrucke anfertigen und binden zu lassen. Fündig wurde ich in einem Dorf in der Nähe, wo ein Buchbinder und -drucker in einer kleinen Werkstatt seinem Handwerk nachgeht. Auch einen Kleinverlag betreibt er, wie ich seiner Internetseite entnehmen konnte.
Auf mein Klingeln hin öffnete der Buchbinder die Werkstatttür und ein Duftgemisch aus Leim, Druckfarbe und Maschinenöl wehte mir entgegen. Ich konnte mehrere, ineinander übergehende Räume erkennen, in denen sich Regale voller Papiere, Materialien und Dosen reihten, dazwischen standen Werkbänke und Druckmaschinen, die Wände waren mit mannshohen Bücherstapeln zugestellt. Vorne beim Eingang stand ein kleines Tischchen, auf dem ein verirrter Laptop von der digitalen Welt zu erzählen versuchte. Ich wurde neugierig.
Nachdem der Buchbinder mir Möglichkeiten und Preise für meine Nachdrucke erklärt hatte, wurden wir darüber schnell handelseinig. Ich wollte jedoch nicht gehen, ohne ihn zu fragen, welche Bücher er verlegt und was in seiner Werkstatt sonst noch hergestellt wird. Mein Interesse schien ihn zu freuen und so gab es eine Werkstattführung gratis. Während er sich wieselflink durch die schmalen Gänge bewegte, erklärte er mir die verschiedenen Arbeitsgänge bei der Entstehung eines Buches. Seine Begeisterung war ansteckend und so kamen wir vom Papier zur Druckmaschine, vom Leim zu seinen Buchbindekursen für Kinder und von den Büchern auf deren Autoren. Sogar Autorenlesungen organisierte er, die Fülle seiner Aktivitäten war beeindruckend.
Als wir schließlich wieder beim Ausgang angekommen waren, fiel mein Blick auf einen Stuhl neben dem Laptop-Tischchen. Ein paar dünne DIN-A5-Heftchen stapelten sich auf der Sitzfläche. „Gedichte eines Landstreichers“ war in kaum lesbarer Handschrift schräg über den hellen Einband gedruckt. Unwillkürlich griff ich nach einem Heft und begann zu lesen. „Wenn es Sie anspricht, können Sie gerne eins davon mitnehmen“, meinte der Buchbinder, der mein Interesse wohl bemerkt hatte. „Der Autor war ein Obdachloser, der hier in der Gegend gelebt hat. Solche Sachen zu drucken, das ist so ein Hobby von mir.“ – „Was für ein Obdachloser denn?“ hakte ich unwillkürlich nach. Der Buchbinder zögerte, schaute stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr, zuckte dann resigniert mit den Achseln und begann zu erzählen.
An einem Herbsttag in den Neunzigern betrat ein alter Mann die Räume der Obdachlosenhilfe einer Kleinstadt hier in der Nähe. Nach Jahren auf der Straße war sein Gang vorzeitig schleppend geworden, sein Rücken gebeugt. Wer ihn einst gekannt hatte wusste, dass er in seinem ersten Leben eine gut bezahlte Stelle im örtlichen Zweigwerk eines Großkonzerns, eine Ehefrau und eine schöne Wohnung gehabt hatte. Dann katapultierte ihn eine schwere Erkrankung aus dem Arbeitsleben, in das er auch nach seiner Genesung nicht mehr zurück fand. Eine Weile kämpfte er noch, aber dann ging es schnell. Das Geld reichte für die Wohnung nicht mehr, die Frau machte sich von dannen und er fand sich auf der Straße wieder.
Wie es damals in ihm aussah und wie er es fertig brachte, nach diesem Absturz als Obdachloser weiter zu leben, weiß niemand. Bekannt ist nur, dass er Obdachlosenunterkünfte oder ähnliche Herbergen mied. Auch um Städte und größere Dörfer machte er einen Bogen. Er zog es vor, über Land zu ziehen und übernachtete in Schuppen, Scheunen oder Lagerhäusern. Nur gelegentlich tauchte er in jener Kleinstadt in der Obdachlosenhilfe auf, um zu essen und seine wenigen Sachen zu waschen.
Dort war er irgendwann einer engagierten Sozialarbeiterin aufgefallen. Da sie regelmäßig in dieser Einrichtung aushalf, gelang es ihr mit der Zeit, einen lockeren Kontakt zu ihm aufzubauen. Wenn er zum Essen da war, leistete sie ihm Gesellschaft. Meist tauschten sie Belanglosigkeiten aus, aber manchmal taute er etwas auf und erzählte aus seinem früheren Leben. Und wenn er einen guten Tag hatte, konnte es sogar passieren, dass er einen Zettel hervor kramte und ihr ein selbst geschriebenes Gedicht vortrug. Über viele Jahre ging das so, letztlich aber wahrte er immer eine gewisse Distanz. Auch seinen Namen sagte er ihr nie. Nur einmal hatte sie es gewagt, ihn danach zu fragen. Das hatte ihn aber so verärgert, dass sie es nie wieder versuchte. „Ein Name, was ist das?“ hatte er ihr entgegen geschleudert. „Niemand kennt mich mehr, seit ich auf der Straße lebe, was willst Du also hören?“
An diesem Herbsttag war er weder zum Essen noch zum Waschen in die Obdachlosenhilfe gekommen. Er wusste, zu welchen Zeiten die Sozialarbeiterin in der Regel anwesend war und suchte nach ihr. „Ah, Du! – Schon lange nicht mehr gesehen!“ begrüßte sie ihn. „Ja, ich will noch mal bei Dir vorbei schauen, bevor ich gehe.“ Überrascht schaute sie ihn an. Die Altersflecken in dem zerknitterten Gesicht, schlohweiße Haare, das zahnlose Nichts zwischen seinen lächelnden Lippen, sie begann zu ahnen, was er wollte. „Weißt Du, ich hinterlasse nichts“, fuhr er fort. „Aber ich habe ein paar Zeilen aufgeschrieben, Gedichte eines Landstreichers könnte man als Überschrift drüber setzen. – Wenn Du meinst, es ist der Mühe wert, kannst Du sie abtippen und verteilen.“ Er holte ein paar eng beschriebene Blätter unter seiner Jacke hervor und gab sie ihr. „Also dann … “ Ihre Blicke kreuzten sich. „Mach’s gut!“ Rasch wandte er sich zum Gehen. Mehr als ein hastiges „Mach Du’s auch gut!“ konnte sie nicht mehr loswerden, bevor er die Tür hinter sich zuzog.
Eine gewisse Scheu hielt die Sozialarbeitern davon ab, seine Gedichte zu lesen. Zuhause legte sie die Blätter in eine Mappe und schob sie zwischen ihre Bücher ins Regal. Sie brauchte lange, bis sie wieder in die Obdachlosenunterkunft gehen konnte ohne das Gefühl zu haben, jener Landstreicher müsse doch noch einmal vorbei schauen, auf eine Mahlzeit oder auch nur, um ein paar Worte zu wechseln. Er blieb verschwunden und bis heute weiß niemand, wann, wo und wie es schließlich mit ihm zu Ende ging.
Einige Zeit war ins Land gegangen, als ihr jene Mappe beim Abstauben ihres Bücherregals wieder in die Hände fiel. Zum ersten Mal begann sie, darin zu lesen. Es fiel ihr schwer, seine Handschrift zu entziffern, aber seine Worte fanden leicht einen Weg in ihr Herz. Sie erinnerte sich daran, was er gesagt hatte, tippte die Gedichte ab und machte sich auf die Suche nach einem Verlag. „Irgendwann hat jemand ihr dann erzählt, dass ich einer von diesen Spinnern bin, der Texte zur Not auch umsonst druckt, wenn sie ihn ansprechen. Und eines Tages stand sie dann mit den abgetippten Gedichten dieses Landstreichers vor meiner Tür“, schloss der Buchbinder seinen Bericht.
Wieder sind Jahre vergangen, in denen das Heft in einem Bücherregal schlummerte, dem meinen diesmal. Jahre, die der Kraft nichts anhaben konnten, die aus den Gedichten des namenlosen Landstreichers spricht. Also habe ich sie erneut abgetippt um sie mit anderen zu teilen, wie er es sich gewünscht hat.
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Gedichte eines Landstreichers
Dein Schicksal überrascht Dich nicht
Denn Du bist Dein Schicksal
Deine Begegnungen wundern Dich nicht
Denn Du bist nicht getrennt von ihnen
Dein Tod erschreckt Dich nicht
Denn Du bist tausendmal gestorben.
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Deine Bewegungen sind
die Bewegungen der Welt
Deine Verwandlungen sind die Verwandlungen
der Welt
Dein Stillstehen ist nur ein Schein
Dein Sterben ist
nur ein Wort.
_
Du meinst Du seist
etwas Bestimmtes
Doch Du bist eine Welle im Weltenmeer
Du
meinst Du seist selbständig
Doch Du bist der Treffpunkt von
hunderttausend Kräften
Du meinst Du kannst Dich lenken
Weil Du
nicht siehst was Dich zieht und treibt
Du meinst Du müsstest
etwas tun
Doch Deine Anstrengung ist nur Widerstand.
_
Hast Du Schmerzen,
lauf nicht davon
Hast Du Hoffnungen, halt sie nicht fest
Suchst
Du die Freiheit, bindet Dein Suchen Dich
Ergreifst Du das Gute,
ist Dein Greifen das Böse.
_
Weil Du unglücklich
bist, strebst Du
Weil Du Angst hast, denkst Du
Doch Dein
Streben wird kein Glück
Den Denken wird keine Ruhe.
_
Du suchst eine
Zuflucht
Doch es gibt keinen Schutz
Du suchst einen Ausweg
Doch
es gibt keine Öffnung.
_
In Deiner Rede reden
tausend Menschen
In Deinem Gang gehen Lurche und Pferd
Aus
Deinen Augen blicken Vogel und Reh
Deiner Hände Greifen ist das
Greifen der Steinzeitmenschen.
_
Dein Fühlen ist
Wahrheit
Dein Vorstellen ist Schein
Du jagst nach dem
Schein
Und die Wahrheit verfolgt Dich.
_
Du hast Schmerz an der
Welt
Und suchst Trost im Vergnügen –
Sie schnitten mit
Messern durch Deine Seele
Und trösteten Dich mit Süßigkeiten.
_
Deine Augen machen aus
tausend Strahlen eine Farbe
Deine Ohren machen aus tausend
Schwingungen einen Ton
Deine Hände fühlen in tausend Bewegungen
einen Körper
Dein Denken macht aus tausend Wahrnehmungen eine
Idee.
_
Dein Wahrnehmen ist
gefilterte Welt
Dein Denken ist gefilterte Wahrnehmung
Dein
Streben ist gefiltertes Denken –
Was ist es, das Du da greifst?
_
Des kreisenden Vogels
Spähen gilt nur der Beute
Des Rehes Lauschen gilt nur der
Gefahr
Des Hundes Schnüffeln gilt nur den Reizen
Deiner
Gedanken Umherlaufen gilt nur der Befriedigung.
_
Du gehst zu den
Lustigen
Doch ihr Lachen ist ohne Freude
Du suchst den
Reichtum
Doch er lastet auf Deiner Seele
Du suchst den
Erfolg
Doch der Glanz blendet Dich
Du gehst zu den Weisen
Doch
ihre Weisheiten sind Gefäße ohne Böden
Du rufst Deinen Gott
Und
hörst nur Dein Echo
Du fliehst die Stille
Doch Dein Schreien
will niemand hören
Du suchst den Tod
Doch Dein Suchen ist das
Leben –
Was Du suchst, erreichst Du nicht
Was Du fliest,
verlässt Dich nicht.
_
Ist jeder Halt
zerbrochen
Fällt Du nicht um
Ist jedes Haus zerstört
Fällt
Dich nichts an
Ist jeder Wunsch vergiftet
Reißt Dich nichts
fort
Ist Alles verloren
Kommt die Welt zu Dir.
_
Die Welt ist offen
Du
suchst zu schließen
Die Welt ist verbunden
Du suchst zu
trennen
Die Welt ist Verwandlung
Du suchst die Form.
_
In Deiner Mitte fühlst
Du die Welt
Mit Deinen Sinnen veränderst Du die Welt
Mit
Deinem Denken fliehst Du die Welt
In Deinem Streben zerstörst Du
die Welt.
_
Du zwingst die Stoffe
in Deine Form
Doch sie zerfallen
Du zwingst Deine Kinder in
Deine Form
Doch sie wenden sich gegen Dich
Du zwingst die
Gesellschaft in Deine Form
Doch Menschen werden das nicht
Du
zwingst Dich selber in Deine Form
Und sie zerbricht Dich.
_
Die Strahlen der Welt
durchdringen Dich
Die Schwingungen der Welt erschüttern Dich
Die
Kräfte der Welt bewegen Dich –
Die Reden von Freiheit betrügt
Dich.
_
Du redest von
Freiheit
Und Dein Motiv ist Zwang
Du redest von Sicherheit
Weil
Du sie suchst
Du redest von Unabhängigkeit
Und wartest auf
Beifall –
Du kannst nichts Böses tun
Denn Du bist die
Konstellation
Von hunderttausend Konstellationen.
_
Du hast Mut in den
Weltraum zu fliegen
Doch Du zitterst vor Gespenstern
Du
beherrscht Atome und Raketen
Doch Dein Denken beherrscht sich
nicht
Du ordnest das Leben von Völkern
Doch Deine Gedanken
ordnen sich nicht
Du verfügst den Tod anderer Menschen
Und
weißt nicht ob Du nicht an Dir selbst zerbrichst.
_
Die Mechanik Deiner
Logik täuscht Dich
Lebendiges bewegt sich nicht gradlinig
Materie
bewegt sich nicht beziehungslos
Kannst Du ungradlinige Bewegung
verstehen
Kannst Du allseitigen Bezug sehen
Ist die Mechanik
Deiner Logik zu Ende.
_
Du bewahrst Deine
äuschung
Und erlebst Deine Macht
Du bewahrst Illusionen
Und
fühlst Deine Ohnmacht.
_
Du redest von
Fortschritt
Und bewegst Dich auf der Stelle
Du machst
Revolutionen
Und wiederholst die Unterdrückung
Du glaubst an
das Neue
Und Dein Denken orientiert sich beim Alten
Du strebst
nach vorn
Und schaust nach hinten.
_
Dein Lebensbaum erhebt
sich aus dem Dunkel der Welt
Du schaust Deine Krone an
Du
fühlst Deine Wurzeln
Zwischen beiden spannt sich Dein Leben –
Du
hängst an dem einen
Und meidest das andere.
_
Willst Du in der Welt
ruhen
Musst Du den Geschmack der Welt lieben
Willst Du den
Geschmack der Welt lieben
Musst Du ihn kennenlernen
Willst Du
ihn kennenlernen
Musst Du feinfühlig werden
Willst Du
feinfühlig werden
Musst Du allen Widerstand aufgeben
Willst Du
allen Widerstand aufgeben
Musst Du auf dem Fleck sitzen
bleiben
Musst Du stehen bleiben, wo Du stehst –
Das
Festgehaltene weicht von Dir
Das Unterdrückte gesellt sich zu
Dir
Dein Ich stirbt tausend Tode
Die Welt wird in Dir
geboren.
_
In Deinem Widerstehen
spannt sich die Welt
In Deinem Streben erhebt sich die Welt
In
Deinem Wirken verwandelt sich die Welt
In Deinem Sterben entspannt
sich die Welt
In Spannung und Entspannung erklingt
Die Harmonie
der Welt.
_
Du greifst nach
Reichtum und verurteilst die Diebe
In beidem wirkt Dein
Widerstand
In beidem wirkt die Spannung der Welt
Du baust
Atombomben und verfluchst ihre Wirkung
In beidem wirkt Dein
Widerstand
In beidem wirkst die Spannung der Welt
Du baust
eine Welt und hast Angst vor Zerstörung
In beidem wirkt Dein
Widerstand
In beidem wirkt die Spannung der Welt
In Dir erhebt
sich ein Ich und sucht sein Heil
In beidem wirkt Widerstand und
die Spannung der Welt.
_
Das Böse ist nur ein
Schein
Im Spiegel Deiner Moralen
Zerstörung ist nur ein
Schein
Im Spiegel Deines Formens
Verlieren ist nur ein
Schein
Im Spiegel Deines Ergreifens
Dein Weilen ist nur ein
Schein
Im Fluss der ewigen Bewegung.
_
Die Arbeit Deiner
Sinne ist Ergreifen und Widerstand
Drum entstehen Schönes und
Hässliches
Wohlklang und Missklang, Schmackhaftes und
Schmackloses
Die Arbeit Deines Denkens ist Ergreifen und
Widerstand
Drum entstehen Verstehen und Nichtverstehen.
_
Dein Lieben ist
Nichtergreifen
Dein Sterben ist Nichtergreifen
Dein
Weltoffensein ist Nichtergreifen –
Diesem gilt Deine verborgene
Sehnsucht.
_
Deine Zellen sind
permanenter Austausch
Dein Blut ist permanenter Fluss
Dein Hirn
ist permanente Reaktion
Deine Idee ist der Versucht, alles
anzuhalten.
_
Die Basis Deines
Ideenturmes ist Dein Widerstand
Die Steine Deines Ideenturmes sind
Deine Vorstellungen
Der Mörtel ist Dein Ergreifen
Die Spitze
ist Dein ICH.
_
In Deinem Spiel
erscheinen Möglichkeiten
Dein Denken erkennt diese
Möglichkeiten
Dein Streben ergreift diese Möglichkeiten
Dein
Leben wird abhängig von diesen Möglichkeiten.
_
Deine Gedanken ruhen
sich aus
Wenn sie von einem Buch geführt werden
Wenn sie von
einem Spiel amüsiert werden
Wenn sie in einer Aufgabe
diszipliniert werden
Wenn sie in einen Traum entlassen
werden
Deine Gedanken ruhen sich aus
Wenn sie von Dir nicht
festgehalten werden.
_
Wenn das Leben an sich
selber leidet
Heilt sich das Leben
Schiebt sich eine
Vorstellung dazwischen
Bleibt Dein Leiden steril.
_
Du willst Deinen
Schmerz nicht sehen
Denn Du schaust lieber die Heilmittel an
Du
wagst Deine Qual nicht zu bekennen
Denn Du meinst Du müsstest ihr
Meister sein
Du wagst nicht Deinen Gott zu verfluchen
Denn Du
denkst er müsste Dein Ebenbild sein
Du willst nicht zur Wurzel
gehen
Denn dort bist Du klein.
_
Du sagst Du magst
dieses Essen nicht
Es ist Den Geschmack den Du nicht magst
Du
sagst Du magst dieses Wetter nicht
Es ist Deine Erwartung die Du
nicht magst
Du sagst Du magst diese Gesellschaft nicht
Es ist
Deine Anschauung die Du nicht magst
Du sagst, wenn du es wagst, Du
magst diese Welt nicht
Es ist der Geschmack von Dir selber, den du
dann wahrnimmst.
_
Du meinst Du kannst
wie ein Kindlein bleiben
Dass Du das denkst, zeigt, dass Du es
nicht bist
Du meinst Du kannst ohne Ideen bleiben
Was Du da
denkst, ist eine Idee
Du meinst Du kannst ohne Absturz
bleiben
Wenn du das hoffst, ist er Dir nahe.
_
In Deinem Leben
entwickelt das Lebendige Härte
Um, zerbrechend, heimzukehren in
die Verwandlung
In Deinen Ideen entwickelt das Lebendige
Verirrung
Um, zerbrechend, heimzukehren in die Wahrheit
In der
Menschheit entwickelt das Lebendige Brutalität
Um, zerbrechend,
heimzukehren in die Schönheit.
_
Du musst gewaltig
irren
Um die Wahrheit tief zu erfahren
Du musst gewaltig
triumphieren
Um Deine Nichtigkeit zu erfahren –
Glaubst Du, Du
kannst eines Menschen Weg abkürzen?
_
Du rückst die Stoffe
zurecht
Und Deine Mühe nimmt kein Ende
Du rückst die
Kreaturen zurecht
Und Dein Töten nimmt kein Ende
Du rückst
die Welt zurecht
Und die Zerstörung kommt auf Dich zurück.
Kannst
Du ein Spinnennetz nachmachen?
_
So, wie Du diesen
Augenblick erlebst
Will das Lebendige in Dir den Augenblick
erleben
So, wie die Menschheit diesen Augenblick erlebt
Will
das Lebendige in der Menschheit sich erleben.
_
Verdammst Du Deinen
Gedanken in Dir
Verdammst Du eine lebende Zelle
Verfluchst Du
ein Gefühl in Dir
Verfluchst Du lebendiges Blut
Verurteilst Du
einen Schuldigen
Dann verurteilst Du einen Menschen
In dem Dein
Gedanke Fleisch und Dein Gefühl Blut wurden.
_
Deine Häuser sperren
Dich ein
Dein Wissen kettet Dich an
Deine Wünsche zerren Dich
umher
Doch Leben ist Bewegung aus sich selbst
Dein Atem wird
nicht von Dir gemacht
Dein Feuer wird nicht von Dir entfacht
Dein
Wirken wird nicht von Dir verursacht
Dein Leben ist Bewegung aus
sich selbst.
_
Mal zerschlägst Du
den Stein
Mal erschlägt er Dich
Du siehst Deine Farbe aus dem
urigen Grau hervorstechen
Doch unterschiedslos ist der
Allzusammenhang.
_
Wird Lebendiges
gereizt
Wächst Widerstand oder Begehren
Werden Menschen
gereizt
Wächst das Ich
Ist das Ich stark
Ist die Blindheit
groß
Und die Zerstörung nimmt kein Ende.
Drum mussten die,
die Menschen verändern wollten
Vor ihnen fliehen
Drum wurden
die Worte derer,
Die den Menschen etwas Gutes verhießen
Die
Quelle endloser Zerstörung –
Weil das Ich gestärkt wurde.
_
Hast Du etwas im Auge,
sieht Dein Auge nicht klar
Hast Du Dein Denken gebunden, ist es
unbeweglich
Ist Dein Ich stark
Ist Deine Orientierung
schwach.
_
Die Gnade Deiner
Krankheit ist
Dass sie Dich Dein Kranksein nicht sehen lässt
So
bleibt Dir großer Schmerz erspart
Der Fluch Deiner Krankheit
ist
Dass sie Dich Dein Kranksein nicht sehen lässt
So bleibt
Dein Kranksein bewahrt.
Doch wenn Lebendiges an sich selbst
leidet
Geht es aus allem heraus.
_
Entsteht in Deiner
Mitte das Gefühl von Mangel
Bewirkt es an Deinen Händen
Ergreifen
Die Augen suchen reizvolle Bilder
Die Ohren
reizvollen Klang
Der Gaumen reizvollen Geschmack
In Deinem
Denken entstehen reizvolle Vorstellungen
Bleibst Du in der
Mitte
Erfüllt sie sich selbst.
_
Binden leibliche
Freuden Dich
Wird in leiblichen Freuden Lebendiges sich
entspannen
Binden Worte und Bücher Dich
Wird im Gebrauch von
Worten Lebendiges sich entspannen
Binden Mystik und Glauben
Dich
Wird in Mystik und Glauben Lebendiges sich entspannen
Will
Dir jemand Deine Fesseln abnehmen
Wirst Du Dich zur Wehr
setzen
Niemand ist gern seines Erlösungsmediums beraubt.
Doch
will Lebendiges sich befreien
So wird es geschehen –
Du aber
kannst das Atmen Deiner Seele nicht verändern.
_
Es ist so schwer
Aus
dem Schein der Macht
Hinabzusteigen in die Wahrheit der
Ohnmacht
Du bist süchtig wie ein Moskito
Der für einen
Tropfen Blut alles riskiert
Du bist geblendet, weil Du sagen
kannst
„Es werde Licht“ wenn Du den Schalter betätigst
Du
eroberst die höchsten Gipfel
Doch Deine Triumphe werden durch
Deine Finger rinnen
Und das Tal der Schmerzen wartet auf
Dich
Denn, schau, leicht ist Dein Nichtsein zu erkennen:
Tag
und Nacht
Aufstieg und Abstieg
Wachsen und Zerfallen sind
Reaktionen
Hunger, Frieren, Angst sind Reaktionen
Sehen,
Fühlen, Erkennen sind Reaktionen
Verstehen und
Nichtverstehen
Sich Zuwenden und Abwenden
Sich Öffnen und
Verschließen sind Reaktionen
Du aber bist dieses alles.
_
Lebendiges erlebt den
Schein der Form
In wiederkehrender Bewegung
Im Zyklus vollzieht
sich Gebären
Im Zyklus vollzieht sich Ernähren
Im Zyklus
erlebt es die Seligkeit des In-der-Welt-Seins
Doch nichts
wiederholt sich.
Der Zwang zur Wiederkehr ist in allem Deinem Tun
–
Und leicht geraten die Kreise steril.
_
Zu wiederkehrender
Bewegung
Organisiert sich die Materie
Um in Spannung zu
erleben
Die eigene Bewegungsform
Das eigene Kreisen
Aus
mystischer Energie.
Den Rhythmus zu wahren
Ist des Vitalen
Interesse
Die Zerstörung des Rhythmus
Erlebt es als Tod –
Wenn
der Rhythmus Deiner sterilen Kreise gestört wird
Zerbrechen
sie
Und Du erfährst die Gnade des Sterbens.
_
Als Störung wirkt das
Neue
In den Kreisen Deiner Gedanken
Als Störung wirkt das
Neue
Auf die Richtung Deines Gehens
Als Störung wirkt das
Neue
In das Verhängnis Deines Strebens –
Die Welt holt der
Verirrende zurück.
Du aber kannst das Tor zur Freiheit nicht
sehen.
_
Einst sahest Du ein
Land von namenloser Schönheit
Hast Du das vergessen?
Einst kam
Dein Tun aus der Quelle der Unschuld
Hast Du das vergessen?
Einst
wan in Deinem Fühlen die ganze Welt
Hast Du sie
weggeschmissen?
Es ist alles noch in Dir.
_